NextGenerationEU = Marshallplan II plus Schumanplan II

NextGenerationEU = Marshallplan II plus Schumanplan II

In den aktuellen Diskussionen über die Zukunft Europas, die Frau von der Leyen unter das Motto „NextGenerationEU“ gestellt hat, gilt es an einige Dinge zu erinnern, die mir etwas untergehen zu scheinen:

a) Angesichts der manchmal überheblichen Töne aus Deutschland, man könne sich ja einiges leisten, weil mit Herrn Schäuble eine „schwäbische Hausfrau“ lange die Kasse gehütet habe, muss an eine Tatsache erinnert werden, die vor einem Jahr noch sehr verbreitet war, heute aber laut beschwiegen wird: der Löwenanteil der deutschen Haushaltssanierung ist der Verringerung der Zinskosten zu verdanken, die die – teilweise von den gleichen Personen – verschmähte Zinspolitik der EZB bewirkt hat.

b) Hinsichtlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zu dieser Zinspolitik der EZB möchte ich aus der Distanz des Nicht-Juristen und Nicht-Wirtschaftswissenschaftlers der Meinung von Andreas Fisahn zustimmen, der nach eingehender Prüfung zum Ergebnis kommt, dass das BVerfG auf der Basis der derzeit gültigen Verträge korrekt entschieden hat und wir deshalb neue EU-Verträge brauchen.1

c) Der von Frau von der Leyen vorgelegte „Marshall-Plan II“ ist von außergewöhnlicher finanzieller Dimension, die sich aber durch einen Hinweis darauf relativieren lässt, dass der Wiederaufbaufonds plus der neue siebenjährige EU-Haushalt, keine 2% des EU-BIP ausmachen, eine Schwelle, die gerne als Maßstab für die Verteidigungshaushalte genommen wird. Und wir sollten doch bereit sein, in das Friedensprojekt EU genauso viel zu investieren wie in unsere Verteidigung!

d) Schließlich möchte ich auf eine kleine Bemerkung hinweisen, die Frau Merkel am Ende der Pressekonferenz gemacht hat, in der sie gemeinsam mit E. Macron den deutsch-französischen Vorschlag eines Wiederaufbaufonds erläuterte. „Wir werden darüber hinaus nach dieser Pandemie die Zukunftskonferenz der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zusammen mit dem Europäischen Parlament und der Kommission anders gestalten, als wir das eigentlich vorhatten. Denn wir müssen ernsthaft über das sprechen, was Europa jetzt nicht ausreichend konnte und was die Zukunft der Europäischen Union ausmachen wird. Das kann auch Vertragsveränderungen einschließen; das kann ein sehr viel engeres Zusammenrücken einschließen. Heute präsentieren wir sozusagen die kurze Antwort auf die Krise. Lange Antworten werden diskutiert werden müssen. Denn Europa muss weiterentwickelt werden.“2

e) Kombiniert man diese Bereitschaft Merkels auch Vertragsänderungen in Angriff zu nehmen, mit der Zusage von Frau von der Leyen in ihrer Antrittsrede, dass sie alle Vorschläge für europäische Regelungen, die das EU-Parlament ihr mit Mehrheit unterbreitet, in Gesetzesinitiativen umsetzen werde, ist jetzt der Weg frei, die Konferenz über die Zukunft Europas zu einem zivilgesellschaftlichen Projekt zu machen und einen „Schuman-Plan II“ zu erarbeiten.

f) „Europäisierung durch Digitalisierung“ könnte in und nach der Corona-Pandemie zu einer neuen Form von europäischen Öffentlichkeiten führen. Denn die Vielzahl an Veranstaltungen, die es z.B. in der diesjährigen Europawoche gab, die den Nachteil der Virtualität in den Vorteil der europäischen Offenheit verwandelt haben, lässt hoffen, dass auch die offizielle „Konferenz zur Zukunft Europas“ durch viele virtuelle Veranstaltungen der europäischen Zivilgesellschaft vorbereitet und begleitet wird. Europäische Verbände und Initiativen, Europahäuser, Europe-Direct Zentren, grenzüberschreitende Bildungswerke, Initiativen von (ehemaligen) Erasmus-Studierenden, Erasmus+ Projekte an Schulen und Hochschulen, Sprachassistent*innen und alle anderen Kulturmittler*innen überall in Europa, Europäische Freiwillige, Städtepartnerschaftsvereine, Zeitzeugen der europäischen Geschichte und viele mehr können solche kleinen europäischen Konferenzen zu allen gewünschten Themen und in vielen verschiedenen Sprachen initiieren, ihre Kontakte zur Verfügung stellen und/oder als Gesprächspartner*innen dienen. Die politischen Forderungen und europäischen Zukunftsentwürfe, die dort entwickelt werden, können in virtuellen Petitionen und virtuellen Demonstrationen gebündelt und an die Mitglieder des Europäischen Parlamentes weiter geleitet werden. Dieses wiederum könnte all diese Ideen zu einem „Schumanplan II“ zusammen fassen und – auf eine möglichst breite Mehrheit gestützt – Frau von der Leyen unterbreiten. Zugespitzt gesagt heißt das, dass das Europäische Parlament eine „schöpferische Zerstörung“ des bisherigen Durcheinanders bewirken könnte, in dem es sich zur „verfassungsgebenden Versammlung“ erklärt und eine europäische Republik ausruft!

1Andreas Fisahn: Karlsruhe vs. EZB: Warum wir neue EU-Verträge brauchen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 6/2020, 87-92; https://www.blaetter.de/ausgabe/2020/juni/karlsruhe-vs-ezb-warum-wir-neue-eu-vertraege-brauchen

2 https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/pressekonferenz-von-bundeskanzlerin-merkel-und-dem-franzoesischen-praesidenten-emmanuel-macron-1753844

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