Schwarzes Deutschland – Schwarzes Europa

Schwarzes Deutschland – schwarzes Europa

Rassistische Angriffe in Fußballstadien gibt es leider europaweit:  auf  Schalke und in Münster genauso wie in Porto, London oder Rom. Das Verhalten der Zuschauer in Münster (und jetzt auch in Frankfurt) ist deshalb bemerkenswert, weil es das erste Mal ist, dass die Zuschauer sich mit dem Opfer solidarisieren und nicht den oder die Täter schützen. Die einzig richtige Antwort wäre allerdings das zu tun, was Peter Bosz, der Trainer von Bayer Leverkusen, sinngemäß für den Fall angekündigt hat, dass so etwas in einem Spiel passiert, an dem seine Mannschaft beteiligt ist. Dann verlassen beide Mannschaften aus Protest das Feld. Da die Verletzung von Menschenrechten alle Menschen trifft und nicht nur denjenigen, der gerade diskriminiert wird, müsste der DFB ein solches Verhalten und einen möglichen  Spielabbruch eigentlich als Sieg für beide Mannschaften werten.

Leider gibt es solche Angriffe nicht nur in Fußballstadien, sondern auch in Kindergärten, Schulen, bei Bewerbungen und in allen Aspekten des täglichen Lebens wenn man die Berichte von Betroffenen und entsprechende Studien aufmerksam liest. Traurige Höhepunkte in dieser Reihe der menschenrechtlichen Niederlagen sind offene Gewalttaten wie die auf das Büro des Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby in Halle. Dieser Rassismus scheint zu unserer Kultur zu gehören[1] und ruhigere Phasen, in denen es wenige Angriffe gibt, sind womöglich eher die Ausnahme als die Regel.

Der Duisburg-Roman des Prix Goncourt-Preisträgers, Didier Daeninckx, “Galadio”, ist leider nichts weniger als aktuell. Denn das Buch erzählt aus dem abenteuerlichen Leben eines afrodeutschen Jugendlichen, Kind eines französischen Kolonialsoldaten und einer Duisburgerin, in den Jahren des aufkommenden Nationalsozialismus in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Das Buch beschreibt anschaulich wie sich vermeintliche Freunde und Unterstützer von ihm abwenden, um im neuen System Karriere machen zu können. Die Drangsalierungen werden nach und nach zu Verfolgungen und so führt ihn sein Weg unfreiwillig von Duisburg in die Ufa-Studios in Berlin, wo er als Komparse ein lebensrettendes Schlupfloch findet. Die Dreharbeiten ermöglichen ihm schließlich – so viel sei verraten – eine Reise bis ins innerste Afrika und zurück zu ihm selbst [2].

Dieser historische Roman wird sinnvoll ergänzt durch das Buch „Schwarzes Europa. Legenden die uns verborgen blieben. Schwarze Jugendliche auf den Spuren ihrer Geschichte“[3], das aus dem Empowerment-Projekt „Interkulturelle Geschichtswerkstatt“ des Gleichbehandlungsbüros Aachen des Pädagogischen Zentrums Aachen e.V. zum Thema „Rassismus in Deutschland“ entstand. Das Buch enthält sowohl Gedichte, Rap-Songs, Biografie-Texte, Briefe als auch Porträtzeichnungen der Jugendlichen. In den Beiträgen werden zunächst 34 Schwarze Persönlichkeiten aus 13 europäischen Ländern vorgestellt, die oft zu ihren Lebzeiten berühmt waren, heute aber (fast) vergessen sind. In den weiteren Kapiteln des Buches gibt es „Hintergrundinformationen“ z.B. zum transatlantischen Menschenhandel, der u.a. bedeutete das schwarze Kinder als „Gastgeschenke“ an europäische Höfe verbracht wurden„ wo sie den globalen Machtanspruch des jeweiligen Fürsten illustrieren sollten. Dieser Handel mit versklavten Menschen auf Kosten des afrikanischen Kontinents war für den wirtschaftlichen Aufstieg Europas und Amerikas (und den wirtschaftlichen Stillstand bzw. Rückschritt Afrikas) von zentraler Bedeutung. Die Auswirkungen dieser ausbeuterischen Strukturen dauern bis heute an.

Es wird auch an die vielen Freiheitskämpfe der Schwarzen in Afrika und Europa erinnert, die meist mit brutalster Gewalt niedergeschlagen wurden. Bemerkenswert ist schließlich, dass es auch einen Beitrag über die „afrotürkische Geschichte“ gibt, über die man in der Tat „in keinem Schulbuch etwas lesen … (kann), weder in Deutschland noch in der Türkei“ (Seite 120), weil die Geschichte des Osmanischen Reiches ebenso wie die Afrikas eigentlich nur dann für relevant erachtet wird, wenn (West)Europa davon betroffen ist oder sich bedroht fühlt. Angesichts der Globalisierung aller Lebensbereiche eigentlich ein rückständiges Konzept.

Im Buch gibt es in weiteren Kapiteln noch „Begriffsklärungen“, „Recherchehilfen“ und „Praktische Tipps“ für die Weiterarbeit in Jugendgruppen oder Schulklassen sowie Informationen zu den beteiligten Jugendlichen („Wer wir sind“) und Hinweise auf weitere „Materialien“, die im Rahmen dieses Projektes entstanden sind, so z.B. ein Bildungskoffer zum Thema „Kolonialismus und Rassismus“, Themenplakate und DVD’s, die zur „Entwicklung eines interkulturellen Gesellschaftsverständnisses“ (146) beitragen können. Insgesamt ein Buch prallvoll mit spannenden Texten, Bildern und Materialien, die es dem Leser schwer machen, es aus der Hand zu legen und dass möglichst weite Verbreitung finden sollte, weil es die Leser*innen indirekt mit der These von M. Duala-M’bedy konfrontiert (s. Anm. 1). und zur Reflexion darüber qualifiziert einlädt.


[1] Schon 1977 hat Munasu Duala-M’bedy in seinem Buch „Xenologie. Die Wissenschaft vom Fremden und die Verdrängung der Humanität in der Anthropologie“ (Freiburg/München 1977, 349 Seiten, ISBN: 3-495-47350-5) die These vertreten, dass die inhaltliche Ausformung des xenologischen Mythos im Kontext des modernen westlichen Selbstverständnisses zu einer Leugnung der Humanität des nichteuropäischen Fremden geführt hat.

[2] Didier Daeninckx : Galadio. Ed. Gallimard, Paris 2010; eine Übersetzung erfolgte durch 4 Mitglieder der Deutsch-Französischen Gesellschaft Duisburg und wurde vom französischen Botschafter in Deutschland mit dem „Prix Joseph Rovan“ ausgezeichnet; Magenta-Verlag 2017, 160 Seiten, 9,90 €, ISBN-13: 978-3944299136

[3] Maria Theresia C. Aden-Ugbomah (Hgin.): Schwarzes Europa. Legenden die uns verborgen blieben. Schwarze Jugendliche auf den Spuren ihrer Geschichte. Edition assemblage Aachen 2017, 164 Seiten, ISBN: 978-3-942885-19-5; 14,80 €; mehr:  www.paez-aachen.de  und http://www.edition-assemblage.de/buecher/schwarzes-europa

2 Kommentare zu „Schwarzes Deutschland – Schwarzes Europa

  1. Zu dem interessanten Thema gibt es noch ein wunderbares Buch: „Deutsch sein und schwarz dazu“ von Theodor Michael. Th. Michael, der 2019 im Alter von 94 Jahren gestorben ist, war Afro-Deutscher und konnte während der Zeit des Nationalsozialismus sein Leben dadurch retten, dass er in den UfA-Filmstudios in Berlin in alten Kolonialfilmen den „wilden Scharzen“ mimen musste – genauso wie der fiktive Galadio in Daeninckx Roman.

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